Hola FrrFrr,
Da ich persönlich ONE PIECE nicht in dem Maße verfolgt habe, um mich als Kenner oder Fan oder sonstetwas zu bezeichnen, kann ich dir die ersten anderthalb Fragen nicht direkt beantworten. Was das zurechtfinden im eigenen Universum betrifft, hat Masashi Kishimoto (Naruto, mittlerweile bei Band 50+ oder so) zuletzt eindrucksvoll bewiesen, dass dem nicht immer so ist und man auch auf seine eigene Zeitleiste pfeifen kann - sehr zur Verwunderung langjähriger Fans ...
Was die zweite Frage betrifft, nun - hier ist beides in gewisser Weise wahr. Schön nachvollziehen lässt sich das in der viel gelobten Manga-Serie "Bakuman", die einen recht umfangreichen (wenn auch sicherlich geschönten) Einblick in die Welt der japanischen Mangaka und das dort herrschende Verlagsklima gibt. Die Essenz daraus: So lange eine Serie gut läuft, wird sie fortgeführt, der Zeichner als Künstler muss notfalls darum kämpfen, seine eigene Serie beenden zu dürfen. Inwieweit das auf ein Mammut-Projekt wie One Piece zutrifft, mit mittlerweile 70 Bänden und über 700 Kapiteln, muss wohl jeder selbst entscheiden. Fakt ist jedoch, dass Oda nicht - wie hierzulande - allein in seinem Kämmerlein sitzt und Seite um Seite zeichnet, sondern ein Team um sich hat, dass ihn soweit nötig dabei unterstützt, alle 1-2 Wochen seine 20 Seiten abzuliefern. Reißbrettgeschichtchen? Vermutlich nicht. Kalkuliert? Durchaus.
Was Frage Nummer 3 betrifft, die nebenbei bemerkt unfair und ein wenig gallig formuliert ist, ist die Antwort doch die simpelste: Natürlich. Wir sollten dieses Forum - am Besten morgen - einfach dicht machen. Die Agrarwirtschaft und Metallindustrie suchen gerade händeringend Arbeitskräfte. Dieses bescheuerte Künstlergetue mit dem geringen Lohn, den missbilligenden Blicken, dem Kopfschütteln und diesem ganzen Quatsch von Selbstverwirklichung und stolzer Verblendung etwas erzählt zu haben ... Da sind die unzähligen gefällten Bäume doch besser in Klopapier investiert. Wenn du das hören willst - bitte, hier steht's, schwarz auf weiß. Und es ist genauso wahr - wie es gleichermaßen unwahr ist.
Das nerdige, die Subkultur, für die der ganze Gender-Quatsch (au-weh!) ohnehin nicht gilt, ist doch in erster Linie ein Phänomen der Konsumenten. Seien wir doch ehrlich: es verwächst sich. Unter hunderten mitgliedern, die hier schon schrieben "Ich würd so gerne Comics zeichnen, wenn ich älter bin, damit mein geld verdienen", schafft es vielleicht einer. Nicht weil er besonders "nerdig" ist, sondern weil er über dieses "Nerdige" hinaus eine sehr realistische Eisnchätzung hatte, was es zu tun galt, um diese Hürde zu nehmen. Und überhaupt "nerdig", ist der Ingenieur der für riesige Walzwerke Schwingungsmodelle für die Produktionsmaschinen entwickelt nicht eigentlich nerdiger, als der Zeichner, welcher den menschlichen "Urkulturen" des Erzählens und des Abbilden von Geschichten (Höhle von Lascaux) nachgibt?
Und ist es sinnvoll, Kapitalismusskritik gerade an der Unterhaltunsindustrie anzusetzen, wenn Menschen wie du und ich ein eine Filiale der Buchhandelkette unseres Vertrauens stapfen, in dem festen Vorsatz 10, 20 oder 30 Euro für ein Papierprodukt zu bezahlen, um hiernach ebenso 10, 20, 30 Stunden unserer knapp bemessenen Lebenszeit an genau dieses zu "verschwenden"? In Welten einzutauchen, die wir nie besuchen werden, Abenteuer zu erleben, die uns nie widerfahren werden? Noch kritischer hinterfragt:
Wenn ich in meinem Nerdtum, meinem Wahnsinn, meiner Passion (ja, Leidenschaft, welch holdes Stichwort) gerade Minute um Minute in diese Sätze hier verschwende und wenn ich gewillt bin, meinem Samstag Nachmittag dafür zu verwenden, in der absurden Hoffnung durch das Zeichnen für einen anderen Thread hier (Der kleine Pirat), jemandem, den ich gar nicht persönlich kenne, durch Zeichnen möglicherweise eine Freude zu machen - ohne auch nur den geringsten Nutzen für mich selbst daraus zu erhalten - macht mich das zu einem schlechten Menschen? Oder nur zu einem schlechten Kapitalist? Ich will gerne zustimmen: Meine künstlerische Verblendung ist groß. Aber ich investiere mich selbst durch diese Verblendung in etwas, von dem ich glaube, das sie meine Lebenszeit auf und in dieser "Welt" bereichert und mich glücklicher macht.
Und jeder der ein dümmliches (!) Lächeln auf den Lippen hat, wenn er eine Zeichnung, eine Seite, eine Geschichte vollendet hat und nach dieser geistigen Schwerstarbeit an seinem Weinglas nippt, wird mir da wohl zustimmen: Ich habe heute wieder nichts zum Weltfrieden beigetragen, die Menschen bekriegen sich immer noch und ja, ich bin ein selbstsüchtiges Arschloch, dass ich diese, meine wertvolle Zeit für diesen Mist verbraucht habe, aber Junge, Junge, bin ich grad glücklich.
Buchtipp:
Vincent von Joey Goebel
In diesem Sinne,
ein zutiefst unnetter Mensch
~mandel