Im letzten Magazin der Süddeutschen Zeitung (# 51, 18. Dezember) war ein Interview mit dem französischen Schriftsteller Emmanuel Carrère (kannte ich bisher nicht), das für mich sehr interessant war. Er schreibt immer autobiografisch, fragt aber alle, die als Figuren in seinen Texten vorkommen, vorher, ob sie damit einverstanden sind. Sein letztes Buch handelte von der Trennung von seiner Frau. Wie er sagt, hatte sie ihm vorab erlaubt, darüber zu schreiben. Als er ihr dann den Text vorlegte, wollte sie dann aber keine einzelnen Änderungen, sondern sie wollte, daß sie völlig aus dem Buch gestrichen wird. Da sei nun also eine große Leerstelle, sagt er, aber irgendwie sei das der Trennung auch angemessen. Ich kann mir das schlecht vorstellen, wie er das gemacht hat.
Aber das Interview hat auch bei mir ein Nachdenken ausgelöst. Ich habe es so gemacht, daß ich allen Leuten, mit denen ich aktuell noch in Kontakt bin, gezeigt habe, wie sie in "Daphne erstarrt" vorkommen. Glücklicherweise hat niemand gesagt, er wolle in dem Comic gar nicht erscheinen. Aber mit Daphne hätte ich ein Problem, wenn ich es so machen wollte wie Carrère: Sie hat nämlich den Kontakt zu mir abgebrochen. Vorher hat sie mir mehrmals verboten, jemandem etwas von ihr zu erzählen. Aber als sie sagte, sie wolle mich nicht mehr sehen, habe ich das als Chance aufgefaßt, endlich meine Geschichte mit ihr loswerden zu können. Und das mache ich jetzt seit ungefähr fünf Jahren. Ich gehe davon aus, daß Daphne davon nichts weiß.
Was ist wichtiger? Daß ich wieder mit ihr Kontakt aufnehme und sie frage, ob sie mit dem Comic einverstanden ist? Könnte sie im schlimmsten Fall als Stalking auffassen. Oder behandele ich meine Beziehung zu ihr weiter als abgeschlossene Sache und fühle mich frei, das im Nachhinein künstlerisch zu verarbeiten? Natürlich gäbe es die Möglichkeit, sie nicht zu kontaktieren (wenn das überhaupt nich möglich ist - sollte sie umgezogen sein, habe ich möglicherweise keine Mittel, sie wiederzufinden) und den Comic dennoch nicht zu veröffentlichen (obwohl ich das ja in sehr kleinem Rahmen schon getan habe). Aber den Bruch mit ihr empfinde ich schon auch ein bißchen wie eine Befreiung. Wenn es mir auch lieber wäre, noch Kontakt zu ihr zu haben - dafür würde ich den Comic sofort in die Tonne treten.
Schwierig. Aber man sieht, Kunst (wenn ich das jetzt mal so hochtrabend bezeichnen darf) wirkt ins Leben hinein!